Verlorene Kindheit - weggesperrt in der DDR
Jugendliche, die nicht ins gleichgeschaltete Raster des DDR-Regimes passten, wurden verurteilt und weggesperrt. In den so genannten Jugendhäusern herrschten Willkür, Gewalt und Drill
3sat.de, 13.04.2022
Kerstin Kuzia: Leben im Spezialkinderheim in der DDR
erstin Kuzia verbrachte große Teile ihrer Kindheit und Jugend in Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR. Die Nachricht, nicht wieder zu ihrer Mutter heimkehren zu können, rief in der Ost-Berlinerin eine tiefe Resignation hervor.
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Bei einem Gesprächsabend zur Problematik von DDR-Spezialheimen im Bad Freienwalder Rathaus forderten am Donnerstag ehemalige Insassen die Anbringung einer
Gedenktafel am sogenannten „Durchgangsheim“. Bis Ende der 80er Jahre befand sich in Bad Freienwalde in einem ehemaligen preußischen Gefängnis ein Heim für Kinder und Jugendliche,
in dem die Insassen unter menschenunwürdigen Bedingungen, ohne Außenkontakte und großteils für deutlich längere Zeit, als selbst zu DDR-Zeiten rechtlich zulässig weggeschlossen
waren. Eine Rehabilitation und die gesellschaftliche Anerkennung des Leids der Betroffenen fand bislang kaum statt. Auf Einladung der bündnisgrünen Landtagsabgeordneten Heide
Schinowsky diskutierten Teilnehmer mit dem Politikwissenschaftler Dr. Christian Sachse, mit Roland Herrmann, einem ehemaligen Insassen des Durchgangsheims Bad Freienwalde und
jetzigen Vorsitzenden der Betroffeneninitiative „Kindergefängnis Bad Freienwalde“ sowie der Liedermacherin Kathrin Begoin, die im einzigen geschlossenen DDR-Jugendwerkhof in
Torgau eingesessen hat. „Zu DDR-Zeiten lautete ein gängiges Vorurteil: Wer im Jugendwerkhof ist, der ist kriminell. Heute wissen wir, dass diese Einschätzung in den meisten Fällen
falsch war“, sagte Heide Schinowsky. „Damals sind vielen Kindern und Jugendlichen in Spezialheimen die Zukunftschancen verbaut worden, indem Ausbildungswege versperrt blieben.
Daran und insbesondere an den schlimmen Erlebnissen in den Heimen tragen die Betroffenen zum Teil noch heute schwer“. Willkürlich, ohne Einverständnis der Eltern und ohne
Widerspruchsmöglichkeiten konnten Kinder und Jugendliche in der DDR in Spezialheime eingewiesen werden, wenn der Staat meinte, sie würden gegen die „Regeln des sozialistischen
Zusammenlebens“ verstoßen oder keine „sozialistische Einstellung zur Arbeit“ haben, berichtete Dr. Christian Sachse. Mitunter reichte allein die Kündigung einer Ausbildungsstelle
für eine Einweisung. Der ehemalige Insasse Roland Herrmann verdeutlichte, wie die Praxis aussah. Neben Schlagstöcken, Stacheldraht, Gitterstäben brachte Herrmann auch ein Bund aus
schweren Eisenschlüsseln mit. „Den haben wir quer über den Flur an den Kopf geworfen bekommen, wenn wir mal wieder nicht schnell genug waren“, berichtete Herrmann. Gespannte
Stille herrschte im Saal, wenn die ehemalige Insassin von Torgau Kathrin Begoin zur Gitarre griff und mit Liedern wie „Tränen in der Nacht“ an ihre Erfahrungen im Jugendwerkhof
erinnerte. Viele der ehemaligen Insassen vom Heim in Bad Freienwalde und anderen Heimen haben inzwischen ihre strafrechtliche Rehabilitierung beantragt. Die Begehren wurden am
Landgericht Frankfurt (Oder) von der Kammer für Rehabilitierungsverfahren stets zurückgewiesen, berichteten anwesende Betroffene. Ein Mitarbeiter der Brandenburger
DDR-Aufarbeitungsbeauftragten Ulrike Poppe erläuterte, warum: Maßgeblich wären nach aktueller Rechtslage lediglich die Einweisungsgründe, nicht aber die Bedingungen innerhalb der
Heime. Hoffnung macht aber die jüngste Rüge des Bundesverfassungsgerichts an einem einschlägigen Gerichtsverfahren in Brandenburg. So hoben die Karlsruher Richter im Februar 2015
einen Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichtes auf, das 2011 einen Antrag der ehemaligen Insassin Norda Krauel auf Rehabilitierung abgelehnt hatte. Die Brandenburger
Richter hätten sich nur ungenügend mit dem Fall vertraut gemacht, rügte das höchste deutsche Gericht und benannte gravierende Verfahrensmängel. Sie warte seit nunmehr fast einem
Jahr auf die Wiederaufnahme ihres Verfahrens, aber die Gerichte in Brandenburg mauerten, berichtete Krauel. Konkrete Auskunft bekomme sie von niemandem, sagte sie. Heide
Schinowsky sicherte der ehemaligen Insassin ihre Unterstützung zu. „Das Verfahren muss bald wieder aufgenommen werden, damit Frau Krauel endlich Klarheit bekommt“. „Neben der
gerichtlichen Anerkennung wäre die Anbringung einer Gedenktafel an dem ehemaligen Heim ein wichtiges Zeichen“, sagte Roland Herrmann. Nichts weise an dem heute unbenutzten Gebäude
in der Adolf-Bräutigam-Straße 4A – damals Karl-Liebknecht-Straße 4a – auf das Martyrium hin, kritisierte Herrmann. Seine Initiative wolle sich nun bei der Stadt Freienwalde dafür
stark machen, dass eine Tafel angebracht wird.
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